Sozialpolitischer Hintergrund

Aus welchen sozialen Kreisen stammten die frühen Mitglieder des RCB?

Obwohl mit dem englischen Namen an die Gründerjahre des Ruderns in England angeknüpft wurde, als nur Personen, die „nicht durch ihrer Hände Arbeit“ ihren Lebensunterhalt verdienten, aufgenommen wurden, war der RCB kein exklusiver Sportclub etwa der Berner Burger. Im Gegenteil, 1931 wurden die Statuten so geändert, dass statt „Schülerrennen“ neu „Jugendrennen“ ausgetragen werden sollten. Damit wurden ausdrücklich nicht nur Schüler öffentlicher und privater Schulen, sondern auch beruflich tätige „Jünglinge“ unter 18 Jahren angesprochen.

Mitglieder des RCB waren Beamte, kleine und mittlere Gewerbetreibende und Handwerker. Darauf war man stolz: «Unser Sport kennt keine Privilegien, keinen Unterschied zwischen Rang, Stellung, Beruf. Die vielfach vertretene Ansicht, ein Ruderclub sei ein Zirkel besserer Herren, ist falsch. Bei uns rudert der Lehrling im gleichen Boot wie der Direktor, der Handwerker mit dem Intellektuellen. Eines aber fordern wir von jedem, der dem RCB als Mitglied angehört oder angehören will: Dass er sich als Gentleman aufführt. Gentleman sein, heisst: Jeden so behandeln, wie man selber behandelt zu werden wünscht. Jedem die Achtung zollen, die man für seine eigene Person beansprucht. Anstand und Höflichkeit im Verkehr, Takt in allen Handlungen, Mass in Sprache und Ausdruck. Sammelwort: Ein Ruderer!»

Der RCB war klar bürgerlich verankert. 1920 hatte man eine Fusionierung mit der Gymnastischen Gesellschaft Bern[1] erwogen. Die Fusionierung sollte es dem RCB gestatten, sich finanziell besser zu stellen. Nach langwierigen Verhandlungen und Besprechungen mit dem leitenden Vorstand wurde der Fusionsgedanke aufgegeben. Jakob Steinmann, der Gründer der GGB, war ein politisch klar verankerter Vertreter der Arbeitersportbewegung. Als Präsident des Schweiz. Arbeiter-Turn- und Sportverbands 1929-38 befürwortete er etwa den Boykott der Olympischen Spiele von 1936 in Berlin.

Ein weiterer Hinweis bestätigt die bürgerliche Verankerung der Clubsleitung. Als Anfang der 1950er Jahre das Bootshaus dringend saniert werden sollte und man verzweifelt nach einem finanziellen Zustupf suchte, schlug H. Berger vor, mit dem „sozialistischen Nationalrat Steiner von der Uhrmachergewerkschaft“ Kontakt aufzunehmen, „der könne in 10 Minuten angeben, wo Geld zu holen sei.“ Doch Präsident Hans Geisler warnte und riet „dringend ab“. Dabei war die SP im Stadtrat mit Abstand die stärkste Partei und hatte ab 1956 die Mehrheit im Gemeinderat. Lieber lehnte man sich 1956 dem freisinnigen Alfred Luginbühl an, dessen Motion zur Schaffung einer Regattastrecke auf dem Wohlensee zwar als erheblich erklärt wurde, doch nie auch annähernd zur Umsetzung gelangte.

In den ersten Jahren waren Clubmitglieder auch stark mit der Romandie und Frankreich verbunden. Die Protokolle der ersten 10 Jahre sind in schöner Handschrift auf Französisch geführt. Die Klage eines Mitglieds darüber wurde sang-und-klanglos abgeschrieben. Die ersten Boote wurden in Frankreich gekauft und noch nach dem 2. Weltkrieg holte man Offerten aus Frankreich ein (kaufte dann aber doch bei Stämpfli). Als 1933 ein Teil der Mitglieder eine Umbenennung des Rowing Clubs in Ruderclub forderten und dies lang und unschön an zwei Sondergeneralversammlungen debattiert wurde, sollen es die französischsprachigen Mitglieder gewesen sein, die den Ausschlag zur Beibehaltung des ursprünglichen Namens gegeben haben.


1921, 26. Jan., 1. erhaltenes Protokoll

[1] Die Gymnastische Gesellschaft Bern (GGB) wurde am 11. April 1910 durch den Turnlehrer Jakob Steinemann, zusammen mit ehemaligen Schülern gegründet. Die GGB war lange ein polysportiver Verein mit Sektionen im Skilauf, Handball und sogar Eishockey (Wiki).
Jakob Steinemann: 17.10.1876 Thayngen, 15.3.1945 Ebertswil (heute Gem. Hausen am Albis), ref., von Opfertshofen (heute Gem. Thayngen). Sohn des Jakob und der Magdalena geb. Meier. ​1) Helene von Grünigen, Tochter des Herkules, 2) Frida Danieli, Tochter des Friedolin. Lehrerseminar Muristalden in Bern, Stud. an der Univ. Bern, 1919 Dr. phil. 1904-40 Lehrer in Büttenhardt, am Knabenwaisenhaus Bern sowie für Turnen, Französisch und Geschichte am Gymnasium Bern. S. setzte sich für den Sport und dessen Einführung als Unterrichtsfach ein. Er gründete u.a. 1919 die Pro Corpore und 1920 den Schweiz. Mittelschul-Turnlehrerverein. Als Präs. des Schweiz. Arbeiter-Turn- und Sportverbands 1929-38 stärkte S. die polit. Ausrichtung des Arbeitersports und befürwortete den Boykott der Olymp. Spiele von 1936 in Berlin. (Jean-Claude Bussard, Hist. Lexikon der Schweiz)